Harmonielehre IX: Stufen statt Funktionen

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Was man auf dieser Seite lernt

Neubeginn: Stufe um Stufe

Sehr vieles, was jetzt kommt, kennen wir bereits. Wir beginnen nämlich wieder sozusagen von vorne und betrachten die Welt der Wohlklänge und Spannungen Stufe um Stufe. Von außen betrachtet sieht das oft so aus, als ob man lediglich die Bezeichnungen ändert. Aus den Funktionen werden Stufen: Statt T wie Tonika schreiben wir I (römisch 1), S (Subdominante) und D (Dominante) werden zu IV und V - aber es steckt noch viel mehr dahinter.

Am Anfang war die Dur-Tonleiter

Das einzige, was bisher wirklich verstanden sein muss, ist der Aufbau der Dur-Tonleiter. Das wurde bereits ausführlich in Lektion I erklärt, soll aber hier nochmals komplett wiederholt werden. Zur Erinnerung:

Unsere Töne heißen c, d, e, f, g, a, h, c' mit je einem ganzen Ton Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Tönen, jedoch nur einem halben Ton Abstand zwischen e und f sowie zwischen h und c'. Wenn wir bei c beginnen macht das Halbtonschritte von Stufe drei nach vier (e-f) und von Stufe sieben nach acht (h-c'). Diese Lage der Halbtonschritte ist das Charakteristikum von Dur-Tonleitern und von c bis c' haben wir die C-Dur-Tonleiter.

Bei e-f und h-c sind per Definition immer Halbtonschritte. Daher braucht C-Dur keine Vorzeichen. (Der Begriff Vorzeichen wird gleich erklärt.) Wenn wir auf anderen Tönen als c beginnen, müssen wir durch Erhöhungen (#) und Erniedrigungen (b) dafür sorgen, dass die Halbtonschritte von Stufen drei nach vier und sieben nach acht zu liegen kommen. Die Zeichen für die Erhöhung (#) und Erniedrigung (b) nennt man auch Vorzeichen, weil sie in der Notenschrift vor den erhöhten / erniedrigten Noten stehen.

Tonleitern - Stufe um Stufe
Moderne Jazz-Skalen oder Mittelalterliche Kirchentonarten

Hinweis: Falls das folgende als nicht nützlich oder schwer verständlich erachtet wird, darf man das auch einfach überspringen und direkt zu den Akkorden im nächsten Abschnitt vordringen!

Wir werden folgendes tun: Auf jeder Stufe der »ganz normalen« C-Dur-Tonleiter bilden wir eine Tonleiter mit eben den tonleitereigenen Tönen von C-Dur. Jeder dieser Tonleiter geben wir einen phantasievollen Namen bestehend aus ihrem Anfangston und einem Zusatz. Man beachte, wohin die Halbtonschritte (e-f und h-c) dann zu liegen kommen. Dem Gothik-Fan sei gesagt: Diese Tonleitern basieren auf den Kirchentonleitern des Mittelalters. Sie sind allerdings auch grundlegendes Handwerkszeug für den modernen Jazz-Musiker.

1           2           3     4           5           6           7     8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
c           d           e     f           g           a           h     c'

[C ionisch = C-Dur: Halbtonschritte 3-4 und 7-8]


1           2     3           4           5           6     7           8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
d           e     f           g           a           h     c'          d'

[D dorisch: Halbtonschritte 2-3 und 6-7]


1     2           3           4           5     6           7           8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
e     f           g           a           h     c'          d'          e'

[E phrygisch: Halbtonschritte 1-2 und 5-6]


1           2           3           4     5           6           7     8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
f           g           a           h     c'          d'          e'    f'

[F lydisch: Halbtonschritte 4-5 und 7-8]


1           2           3     4           5           6     7           8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
g           a           h     c'          d'          e'    f'          g'

[G mixolydisch: Halbtonschritte 3-4 und 6-7]


1           2     3           4           5     6           7           8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
a           h     c'          d'          e'    f'          g'          a'

[A äolisch = a-Moll natürlich: Halbtonschritte 2-3 und 5-6]


1     2           3           4     5           6           7           8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
h     c'          d'          e'    f'          g'          a'          h'

[H lokrisch: Halbtonschritte 1-2 und 4-5]

Bei anderen Anfangstönen muss durch entsprechende Vorzeichen die angegebene Lage der Halbtonschritte erreicht werden. Hier ein Beispiel, nämlich C lokrisch. Wir sehen oben, dass die Halbtonschritte für lokrisch von Stufe eins nach zwei und von Stufe vier nach fünf liegen müssen. Das kann durch vier Bs erreicht werden:

1     2           3           4     5           6           7           8
|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
c     db          eb          f     gb          ab          b           c'

[C lokrisch]

Was muss man sich davon merken?

Es ist gut, die Namen zu kennen:
ionisch, dorisch, phrygisch, lydisch, mixolydisch, äolisch, lokrisch

Dann kann man sich das Nötige gegebenenfalls selber herleiten, indem man sich die C-Dur-Tonleiter hochhangelt und die entsprechenden Tonleitern (bei Jazz-Fricklern auch Skalen genannt) bildet.

Wer sich noch mehr merken will und die Skalen vielleicht beim Improvisieren benutzen will, hier die Zusammenfassung:

Kirchen-       Lage der
Tonleiter      Halbton-
(Skala)        Schritte     
------------------------------------------------
ionisch        3-4  &  7-8   (Dur)
dorisch        2-3  &  6-7
phrygisch      1-2  &  4-5
lydisch        4-5  &  7-8
mixolydisch    3-4  &  6-7
äolisch        2-3  &  5-6   (Natürliches Moll)
lokrisch       1-2  &  4-5

[Alle Kirchentonarten / Skalen im Überblick]

Dreiklänge - Stufe um Stufe

Wenn wir Akkorde bilden, schichten wir immer Terzen übereinander, lassen also immer einen Zwischenton aus. Beim Dreiklang nehmen wir also den Grundton, den übernächsten Ton und darauf wieder den übernächsten Ton der Tonleiter zusammen.

Diese Terzen können kleine oder große Terzen sein. Eine kleine Terz ist ein Abstand von eineinhalb Tönen; eine große Terz ist ein Abstand von zwei ganzen Tönen.

Ein Dur-Dreiklang hat über dem Grundton eine große Terz und darüber eine kleine Terz. Ein Moll-Dreiklang genau umgekehrt eine kleine Terz und darüber eine große. Dann gibt es noch einen speziellen (verminderten) Akkord, bestehend aus zwei kleinen Terzen, den wir Moll-Minus-Fünf-Akkord (mb5) nennen.

Bauen wir jetzt auf jedem Ton der C-Dur-Tonleiter einen Dreiklang auf. Dabei entstehen Dur-Dreiklänge, Moll-Dreiklänge und letztgenannter verminderter Dreiklang:

  C           dm          em    F           G           am         hmb5           

  g           a           h     c           d           e           f
  e           f           g     a           h           c           d
  c           d           e     f           g           a           h
  |-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
  c           d           e     f           g           a           h     c'
  1           2           3     4           5           6           7     8
                                                     

Vierklänge

Genau: Wir legen noch eine Terz obendrauf und erhalten wieder Bekanntes. Während sich als Dreiklänge lediglich in Dur, Moll und vermindert ergeben, haben kommen jetzt zwei Arten von Dur-Akkorden, nämlich den Dominantseptakkord mit der kleinen Septime (genau den meinen wir immmer, wenn wir »Septakkord« sagen) und den Major-7-Akkord mit der großen Septime. Der verminderte Akkord erweitert sich so zum Moll-Septakkord mit verminderter Quinte. Auch hier ist die Septime eine kleine Septime - wie immer, wenn wir Septakkord (ohne Major) sagen.

 Cmaj7       dm7         em7    Fmaj7        G7          am7         hm7b5           

  h           c           d     e           f           g           a
  g           a           h     c           d           e           f
  e           f           g     a           h           c           d
  c           d           e     f           g           a           h
  |-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
  c           d           e     f           g           a           h     c'
  1           2           3     4           5           6           7     8
                                                     

Fünfklänge

Und noch eine Terz drauf. Auf der ersten Stufe (c) heißt das also: Zum ersten, dritten und fünften Ton der Tonleiter (c-e-g, also C-Dur) haben wir ja bereits die Septime (siebter Ton) gepackt und nun legen wir die None (neunter Ton) drauf. Bei den Bezeichnungen ist interessant: Die Septimen erwähnen wir hier gar nicht mehr. Wer von einem Neuner-Akkord spricht (z.B. C9, der meint alle Töne im Terzabstand bis zur None, also 1-3-5-7-9. Wenn die Septime eine Große ist, dann heißt der Akkord - wie auch bei den Septakkorden - Major-9 (z.B. Cmaj9, ansonsten einfach nur 9 (z.B. G9).

 Cmaj9        dm9        em7b9  Fmaj9        G9          am9       hm7b5b9

  d           e           f     g           a           h           c
  h           c           d     e           f           g           a
  g           a           h     c           d           e           f
  e           f           g     a           h           c           d
  c           d           e     f           g           a           h
  |-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|-----|
  c           d           e     f           g           a           h     c'
  1           2           3     4           5           6           7     8
                                                     

Der letzte Akkord in dieser Reihe ist schon sehr schräg und eher selten.

Noch ein Hinweis zu dem Neuner-Akkord: Die Septime unterscheidet diesen (z.B. C9) vom Add-9-Akkord (z.B. CAdd9), wie wir ihn am Ende von Lektion VII gesehen haben. Bei letzterem wird dem Dur-Dreiklang lediglich die None hinzugefügt - die Septime wird einfach ausgelassen.

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