Die Frage nach Schlagzeugunterricht

Kann man sich das auch selber beibringen?

Kurze Antwort: Ja, aber in den allermeisten Fällen nur bis zu einem bestimmten Niveau.

Anm: Wer Zeit hat darf in die lange Antwort gerne eine
wahre Geschichte als Fallstudie einblenden.

[Fallstudie ausblenden]

Paul (Name geändert) hatte sich als Gitarrist bereits mit 17 in einer Tanzband etabliert. Er pflegte frühzeitig zur Probe zu erscheinen und sich dann zum Spaß an das Schlagzeug zu setzen. Ohne jede Übung hatte er von Anfang an ein paar Rhythmen und Fill-Ins spielen können; darunter sogar solche, mit denen der Schlagzeuger zuweilen Probleme hatte.

Als der Schlagzeuger die Band verließ, machte Paul ganze Sache: Er kaufte sich ein billiges Schlagzeug und füllte die rhythmische Lücke. Schon drei Wochen später verdiente er sein erstes Geld als Schlagzeuger. (Ja, so einfach war das Tanzmusik-Geschäft in den 1980er Jahren.)

Paul meinte es ernst: Er kaufte sich bald Dante Agostinis „Methode de Batterie” und übte emsig. In den folgenden anderthalb Jahren arbeitete er zwei Agostini-Bände durch, bis praktisch alle Übungen in zügigen Tempi funktionierten. In der Band spielte er das meiste aus dem Kopf, sodass freies Spiel und Kreativität nicht zu kurz kamen. Mitmusiker und Publikum beschwerten sich nicht und soweit war alles in Butter.

Ist das mit etwas Talent wirklich so einfach?

Bei gegebener Musikalität kann es recht schnell gelingen, Rythmen und Fill-Ins zu spielen. Leider kann der Autodidakt die Qualität der Ausführung in der Regel nicht selber bewerten. Wenn die subtilen aber wesentlichen Zusammenhänge noch nicht bekannt und das Gehör noch nicht geschult ist, werden sich mehr als 99% der Schlagzeuger hoffnungslos überschätzen. Das Spiel wird dann durch Üben vielleicht schneller und komplexer, aber nicht wirklich besser.

Die meisten Trommler brauchen jemanden, der besagte Aspekte vermittelt; der Schwächen erkennen und erklären kann; der eine Methode zur Verbesserung parat hat. Solche Menschen nennt man gute Lehrer.

Paul hatte nie Schlagzeug-Unterricht. Trotzdem war er schon nach wenigen Jahren sehr zufrieden mit sich. Er hatte seinen eigenen Stil gefunden und spielte in zwei Bands.

Die Bands waren mittelprächtig. Ihm war klar, dass er es nicht zu einem richtigen Kracher gebracht hatte. Zum Erfolg gehören eben auch Glück und dir richtigen Verbindungen. Wegen letzterem bekam er auch keine Anfragen von der lokalen Oberliga.

Wenn Musiker auf der Stelle treten wird dies gerne pauschal auf mangelndes Glück oder auf fehlende Verbindungen zurückgeführt. Das ist eitel. Es stimmt zwar, dass es nicht jeder Meister in die Meisterklasse schafft, aber das ist kein Grund in der unteren Mittelklasse hängen zu bleiben. Dort treten Musiker meistens auf der Stelle, weil sie ihre eigenen Schwächen nicht erkennen und daher auch nicht beheben.

Nach einem ganz guten Gig traf Paul beim Biertrinken einen Spitzen-Drummer und langjährigen Profi. Nennen wir ihn Joe. Nach seiner Meinung gefragt begann Joe mit: „Super! Was ihr macht, ist sehr sympathisch.” Pauls Stolz erblühte.

Bei den weiteren Ausführungen klang aber durch, dass Paul nicht auf Augenhöhe, sondern nach Amateur-Maßstäben kritisiert wurde. So wie man eine Schulband oder einen Musikverein als toll bezeichnet, weil sie eben mit begrenztem Aufwand von Amateuren doch ganz passable Musik hervorbringen. Irgendwann fiel in der Kritik: „Klar, das ist alles nix genaues …” Paul sah sich und die Band unterschätzt und wollte Details, auch über sein Spiel. Dazu meinte Joe ganz offen, dass Pauls Technik echt gut sei, dass dies aber nichts nutze, weil auch bei ihm die maßgeblichen Dinge nicht gegeben seien. Ein paar Bier später bezeichnete Joe das Getrommel von Paul sogar als „Gewurstel”.

Auf der Heimfahrt malte Paul sich aus, dass die bösen Worte des Erfahrenen vielleicht auch nur von Generationsneid zeugten. Bei der nächsten Gelegenheit würde er sich Joe live ansehen und mit Kritik auch nicht hinter dem Berg halten. Bald gab auch gleich zwei Gelegenheiten dazu: Joes Rockband gastierte und er half kurz darauf bei einer Bigband aus. Paul besuchte beide Konzerte und staunte: Ohne besondere technische Fähigkeiten groovte Joe sowohl bei Rock als auch im Bigband-Sound wie ein Gott. Dabei war für Paul nicht ersichtlich, was Joe anders machte als er selbst. Der spielte nichts, was Paul nicht auch hingekriegt hätte, und trotzdem verlieh er beiden Ensembles Kraft und Antrieb, wie Paul das noch nie bewusst irgendwo gehört hatte.

Paul versuchte in der nächsten Zeit den Stil von Joe zu kopieren. Es schien keine Hexerei. Er gewann den Eindruck, Joe überschätzt zu haben. Aber beim nächsten Konzert mit Joe am Schlagzeug musste er wieder feststellen: Da bin ich noch lange nicht. Musiker wie Nicht-Musiker wurden bei Joes Konzerten nicht müde zu erwähnen, wie fantastisch der Typ hinter dem Schlagzeug sei.

Irgendwann nach einem Konzert kam es dann zu der Frage an Joe: „Was hast Du, was ich nicht habe?” Als Antwort gab es sofort am Tresen sozusagen die erste Lehrstunde. Es ging um Wesentliches und Unwichtiges; um Konzentration statt Dahertrommeln; um Genauigkeit stattSchlamperei; um genaues Zuhören.

Fortan übte Paul einfacher, langsamer, exakter und konzentrierter. Beim Spielen versuchte er jetzt immer bei ganz der Sache zu sein, gegebenenfalls auch von 20:00 bis 02:00 Uhr. Hierbei konnte er wirklich was von Joe lernen, als die beiden notgedrungen als Tanzmusik-Duo auftraten (Joe am Keyboard, Paul am Schlagzeug): Auch weit nach Mitternacht hatte Joe sein Zweitinstrument und seine Stimme konzentriert im Einsatz, aber auch ein Ohr für die kleinen Schwächen des Juniorpartners. Beeindruckend, wenn einem nach Hochzeitsgastspiel erklärt wird, wo um 02:00 Uhr ein Walzer zu langsam, die Snare zu leise, die Bassdrum zu weit vorn oder die Rumba nicht stilecht war. Für Vorzeige-Fills gab es Kritik oder Nichtbeachtung. Lob gab es für schönes, konzentriertes, stilechtes Spiel und gutes Timing. Pauls Spiel wurde während der kommenden Monate einfacher, aber ganz und gar nicht langweilig.

Paul erntete Komplimente - nicht nur von Joe. Die Krönung: Eines Tages feierte Paul Geburtstag. Joe war auch da. Gerade lief eine Cover-Version von „Bad Leroy Brown”. Joe meinte zu Paul „Hör mal! So auf den Punkt muss die Nummer kommen. Der spielt nicht viel, aber an der richtigen Stelle explodiert er.” Sehr schön: Die Aufnahme war ein Mitschnitt von Pauls aktueller Tanz- & Showband.

Umwege und Abkürzungen

Obwohl die autodidaktische Vorgehensweise durchaus auch gute Seiten hat, führt der effizientere Weg über einen guten Lehrer. Ein guter Lehrer bemerkt und bearbeitet individuelle Schwächen gleich, sodass man sie nicht später mühsam korrigieren muss. Er stellt sicher, dass man nicht am Wesentlichen vorbei arbeitet. Qualität wird nämlich nicht in BPM (Beats per minute) gemessen.

Die üblichen Schwächen: Was der Laie übersieht

Einige oder alle folgenden Schwächen werden garantiert auftauchen, wenn die Schlagzeuglehre nicht durch einen professionellen Lehrer oder Coach begleitet wird:

Wer der Meinung ist, keine dieser Schwächen bei sich entdeckt zu haben, leidet wahrscheinlich an der branchenüblichen Selbstüberschätzung. Tip: Einfach mal einen guten(!) Schlagzeuglehrer oder zumindest einen professionellen Musiker um eine Spielbeobachtung und Einschätzung bitten!

© H. A. Faß, 2011